Mann zündet eine Kerze an

Ich liebe Schicksalsgeschichten – bin ich ein Sadist?

Ich interviewe gerne Menschen, die jemanden verloren haben, eine schlimme Krankheit hatten oder durch sonstige Katastrophen ihr altes Leben aufgeben mussten. Es war für mich zum Beispiel ein Genuss, einen TV-Magazinbeitrag mit dem schwedischen Autor Tomas Sjödin zu gestalten, der zwei Söhne verloren hat. Beide sind mit Hirnerkrankungen auf die Welt gekommen und im Teenageralter gestorben.

Zeit heilt nicht die Wunden, aber lässt neue Menschen entstehen

Nicht falsch verstehen: Ich freue mich weder darüber, dass Menschen Leid erfahren müssen noch bin ich sensationsgeil. Ich halte nichts davon, Menschen, die eine Schreckensnachricht erhalten haben, vor die Kamera zu zerren und Tränen für die Quote zu opfern. Für einige Fernsehsendungen, an denen ich gearbeitet habe, hatte ich aber mit leiderprobten Menschen zu tun und habe die Interviews – die mit den Protagonisten abgesprochen waren – sehr genossen.

Diese Geschichten, wie zum Beispiel die von Tomas Sjödin, haben mir gezeigt: Trauern braucht Zeit. In dieser Zeit darf man wütend sein, alles und jeden hinterfragen, Gott anklagen. Nach Jahren jedoch zieht der Schmerz sich zurück und es bleibt „nur“ noch eine Sehnsucht nach dem, was einmal war. Und aus dieser Zeit heraus entsteht eine gereifte und tiefe Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit, die erst gar nicht versucht, alles im Leben kontrollieren zu wollen, weil es eh nicht geht. Eine Persönlichkeit, die bei Stolpersteinen im Alltag Ruhe bewahren und mitten im Chaos Frieden ausstrahlen kann. Eine Persönlichkeit, die anziehend auf andere wirkt.

So eine Begegnung vergisst man nicht

So ist es auch bei Tomas Sjödin. Er scheint gelassener damit umzugehen, dass manchmal Dinge geschehen, die man nicht in der Hand hat. Denn er hat erlebt, „wie stark das Leben ist und dass der Wunsch zu leben und die Kreativität zurückkommen“. 15 Jahre nach dem Tod seines ältesten Sohnes ist Sjödin in meinen Augen ein Mann, der das mit seinem ganzen Wesen ausstrahlt. Das sorgt nicht nur für einen tiefenentspannten Dreh – denn auch wenn eine Szene fünf Mal gedreht werden muss, bleibt er gelassen – sondern auch für eine Begegnung, die mir noch lange nachgeht.

Tomas Sjödings leidvolle Erfahrung ihn vieles gelehrt – über das Leben, die Liebe und Gott. Das Interview mit ihm war für mich unfassbar inspirierend. Hätte die Kamera nicht eh alles aufgezeichnet, hätte ich mir einen Notizblock geschnappt und alles mitgeschrieben. 90 Prozent der Sätze könnte man sich sicherlich einrahmen und ins Wohnzimmer hängen. Deswegen hat es mich gar nicht überrascht, als Sjödin erzählte, dass viele verwaiste Eltern sich an ihn und seine Frau wenden. Sie finden sich in seinem Schmerz, in seinen Büchern wider und wollen ihm begegnen. Wollen mit eigenen Augen sehen, dass das Leben nach der Krise weitergehen kann und wollen mit eigenen Ohren hören, dass der Schmerz einer liebevollen Sehnsucht weicht. Hatte das Leid, das Familie Sjödin widerfahren ist, deswegen seine Berechtigung? Ich weiß es nicht. Ich wünschte, es wäre ihnen erspart geblieben. Und trotzdem fand ich den Menschen, dem vor 15 und 10 Jahren mit das Schlimmste widerfahren ist, was man sich nur so vorstellen kann, so inspirierend, dass ich diese Begegnung nicht missen möchte.

TV-Beitrag/Bild © ERF Medien

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